Nähmaschine trifft E-Gitarre: Der neue Bordsound

Montag, 24.11.25; Neukaledonien/Nouméa; Tag 4.195

Unsere Nähmaschine hatte ja den gerissenen Antriebsriemen (Atanga berichtete Eine Maschine in Menschengestalt). Vor Ort ist ein Ersatz nicht zu bekommen. In Deutschland war das kein Problem: Ein Nähmaschinen-Internetversand liefert innerhalb von drei Tagen (40 Euro).
Unsere erstklassige Hilfe in der Heimat (Herzchen in den Augen) macht ein Päckchen fertig und schickt den Riemen nach Neukaledonien. Kostenpunkt 29,00 Euro :shock: für weniger als einhundert Gramm – ohne Tracking. Lieferzeit eine bis vier Wochen, je nachdem, wen man fragt.

Sieben Wochen nach dem Versand haben wir kaum noch Hoffnung.

Ich schreibe dem Zoll, der Post und DHL eine Mail. Alle drei Stellen antworten freundlich, aber niemand hat unser Päckchen gesehen. Ein weiteres Mal wollen wir nicht 69,00 Euro riskieren. Wir gehen vor Ort auf die Suche nach einer neuen Nähmaschine. Ein Kleingeräte-Geschäft bietet vier Maschinen zur Wahl. Unbekannte Marken, eher Kleidchen-Maschinen. Nichts dabei, was wir wollen.
In einem Stoffladen werden wir fündig. Zur Auswahl steht Singer. Und … Singer. Das Regal ist zwar leer, aber die Aussteller präsentieren acht verschiedene Maschinen. Drei ‚Heavy Duty‘-Maschinen darunter. Auf Nachfrage erfahren wir, dass sich die Maschinen beim Zoll befinden und in zwei Wochen im Geschäft stehen sollen.

Neun Wochen und drei Tage sind seit dem Versand des Ersatzriemens vergangen.

Die Maschinen stehen mittlerweile im Stoffladen. Die Singer „Cosplay 6335“ gefällt uns. Diese Maschine gibt es nicht auf dem europäischen Markt, aber ihr baugleiches Gegenstück erhält gute Bewertungen. Das überzeugt.

Neun Wochen und fünf Tage sind seit dem Versand vergangen.

Wir bekommen eine Vorführung unseres Wunschmodells. Wir sind angetan und schlagen zu. Die Maschinen kommen aus Australien. Einen Stecker-Adapter ‚Australien-Frankreich‘ legt das Geschäft standardmäßig gleich dazu. Französische Stecker sind ähnlich wie deutsche, damit können wir an Bord etwas anfangen.
Natürlich zahlen wir zu viel (567 Euro). In Neukaledonien zahlt man immer zu viel. In Neuseeland würde dieselbe Maschine 350 Euro kosten. Egal. Wir machen von unserem neuen Lieblingssatz gebrauch: Das stellen wir einfach Neuseeland in Rechnung.

Handhabung, Zubehör und erste Nähversuche begeistern mich. Die Neue macht richtig Spaß. Kaum, dass fünfzig Jahre zwischen der Produktion von zwei Nähmaschinen liegen, ist die Technik tatsächlich weiter gegangen.
Allein der Spulenwechsel! Alles geht auf einmal wie von selbst.

Die Alte mit der Neuen beim Probenähen – alles fein, eine tolle Maschine.

Zehn Wochen sind seit dem Versand vergangen.

Wir holen die alte Maschine aus ihrem Lagerplatz unter der Sitzbank im Salon. Die uralte Transportkiste unserer Pfaff 260 behalten wir. Die Singer findet gut Platz darin. Ich behalte noch den besseren Naht-Trenner und eine schöne Schachtel für die Spulen. Die alte Pfaff wandert in den Karton der Neuen. Achim schleppt das 15 Kilo schwere Teil zu den Mülltonnen. Uns blutet das Herz. Das war schon ein zuverlässiges Monster. Aber wir müssen uns trennen. Irgendwann geht uns schlicht der Platz aus.

An den Tonnen sieht man häufig Obdachlose, die nach Verwertbarem suchen. Daher hat es sich unter den Bootsbesitzern eingebürgert, brauchbare Dinge neben die Tonnen zu stellen.
Unsere Maschine ist nach zwei Stunden weg. Den kaputten Riemen haben wir auf die Maschine gelegt, um niemanden in die Irre zu führen. Als Ersatzteillager taugt die Maschine bestimmt noch. Irgendjemand wird das erkennen und so kommt das gute Stück noch zu seiner letzten Bestimmung.

Zehn Wochen und drei Tage sind seit dem Versand vergangen.

Achim schlendert kurz vor Feierabend am Marinabüro vorbei. „Atanga, Atanga, es ist Post für euch da!“ Das darf doch nicht wahr sein. Wir halten den Antriebsriemen in den Händen.
Wir beruhigen uns: „Jetzt bloß nicht verschütteter Milch hinterher heulen.“ Oder auch: „Es war ja nicht nur der kaputte Riemen. Das Biest hatte auch so seine Macken. Denk nur daran, dass das Fußpedal manchmal so komisch gesummt hat. Und nach langer Standzeit ist die Maschine von alleine losgelaufen. Ganz in Ordnung war sie ja nicht mehr …“.

Um nur drei Tage haben wir es komplett verhauen. :mrgreen:
Ich lasse mir von dem miesen Timing  meine Singer nicht vermiesen. Ich bin happy und habe gut zu tun. Reparaturen aller Art, neue Mückennetze für die Luken und Kissenbezüge stehen als erstes auf der Liste.

Und Achim? Achim übt seit geraumer Zeit, Gitarrensoli zu spielen, die für seine Gitarren nicht geeignet sind. Sagt er. Zwei Bünde zu wenig, sagt er. Eine E-Gitarre wäre fein, träumt er seit längerer Zeit vor sich hin. „Ist aber Quatsch“, räumt Achim von alleine ein.“ Zu groß. Dazu braucht der Verstärker auch noch Platz.“.
Sprach’s  – und wird im Internet fündig: eine Reise-E-Gitarre.  Ansprechend klein, aber hässlich wie die Nacht. Der Verkäufer ist bereit, zu uns aufs Boot zu kommen. Achim und er werden sich schnell handelseinig. Die unansehnliche Gitarre wechselt den Besitzer.

Es sind jetzt drei (in Worten drei) Gitarren an Bord, plus eine Ukulele. Langsam wird es eng. Uns geht der Platz aus.
Gelten für Gitarren Sonderregeln? Oder was ist hier los? Wer die Pfaff genommen hat, kann doch sicher auch noch eine Gitarre gebrauchen?

Reise-E-Gitarre – die Verkaufsanzeige.
Wirklich sehr klein. Achim spielt ohne den Armaufsatz – das gefällt ihm besser. Ein Schnäppchen für 220 Euro – aber die Optik …

Tonstudio Atanga. Der Verstärker wird an die Gitarre angeschlossen. Nur Achim kann sich über Kopfhörer hören (über den Laptop gibt es noch Soundeffekte dazu. Das hat er sich fein ausgedacht).
Ich höre davon im Salon nur ein leises ‚Pling-Pling‘.

Es ist ja nicht so, dass die Instrumente nicht benutzt werden. Keine Showfotos.
Achim spielt immer hinten in der Achterkoje. An seinem Lieblingsplatz: schattig, aber nicht kühl.

Zyklon-Sicherung in der Marina

Dienstag, 18.11.25; Neukaledonien/Nouméa; Tag 4.189

Dass ein Zyklon in der aktuellen Saison Einfluss auf Neukaledonien haben wird, ist so sicher wie die tägliche Ebbe und Flut. Seit 1970 gibt es kein Jahr ohne Ereignis. Einige Jahre bescherten der Region sogar drei Systeme.
Die gute Nachricht: Die meisten der Zyklone treffen nicht direkt, sondern ziehen mehr oder weniger nah an Neukaledonien vorbei. Leider haben auch vorbeiziehende Systeme einen negativen Einfluss, aber nicht diesen verheerenden Verwüstungs-Charakter eines direkten Einschlags.

Die zweite gute Nachricht: In den letzten 55 Jahren gab es nur sechs direkte Treffer aufs Land. Davon einen in Nouméa, im Jahr 2003. Dieser Zyklon hieß Erica und sorgte für schlimme Verwüstungen. Windböen von 227 km/h trafen die dicht besiedelte Region und verursachten massive Schäden. Erica forderte Todesopfer und machte Tausende Menschen obdachlos. Der Name „Erica“ wurde vom Zyklon-Namen-Rotationsplan gestrichen, was die Schwere des Ereignisses unterstreicht.

Mit diesem Wissen beobachten wir gespannt die Zyklonmaßnahmen in der Marina. Die jährlichen Wartungsarbeiten des ausgeklügelten Mooring-Systems stehen an. Die Mithilfe und Anwesenheit der Bootsbesitzer ist gewünscht, so dass richtig Betrieb in der Marina herrscht.

Fast alle Boote sind besetzt, um zu helfen. Wo keiner an Bord ist, springen die Marineros ein.

An jedem Liegeplatz führen zwei Pilotleinen zu Mooringleinen, die in fünf Meter Tiefe im Hafenschlamm liegen. Achtung! Ein dicker Bewuchs hat sich in einem Jahr angesammelt. An der dünnen Leine zieht Achim, um die Mooring zu bergen. Auch die Mooringleinen sind stark bewachsen, aber nur auf der Länge der Wassertiefe. Der Teil, der im Schlamm liegt, ist sauber.

An der Pilotleine zieht man die Mooring nach oben …

… die Mooring wird auf die Heckklampe geführt.

Diese Tampen – 18 mm stark  – werden auf den hinteren Klampen der Boote belegt. Über Kreuz (zur Nachbar-Mooring) führen sie quer durch die Boxengasse zum gegenüberliegenden Steg.

Jeweils über Kreuz verlaufen die Moorings der nebeneinander liegenden Schiffe auf den gegenüberliegenden Steg.

Unter jedem Steg liegt eine dicke Kette. „Wie dick ist dick?“, frage ich Pierre, der diese Ketten gesehen hat. Er zeigt die Größe eines Fußballs an. „Die sind richtig fett. Zusätzlich sind sie am Ende der Stege mit Erdankern am Hafengrund befestigt“. Erst vor vier Jahren wurden diese Ketten ausgetauscht, als die Stege in der Marina verlängert wurden. Am Ende der Stege wurden neue Pfähle mit einer 600-Tonnen-Barge in den Boden gerammt.

Ein Team von acht Tauchern springt ins Wasser um alle Mooringleinen, die jetzt schweben, abzustauchen. Liegen sie richtig über Kreuz? Gibt es Beschädigungen? Sind die Befestigungen okay? Während der Aktion darf niemand in die Boxengasse fahren. Ein Begleitfahrzeug passt auf, dass weder Taucher noch Leinen geschreddert werden.
Nach der Kontrolle werden die Mooringleinen von der Klampe am Boot abgetüdelt und versinken wieder im Schlamm. Der normale Marinabetrieb kann weitergehen.

Die Mooring wird am Heck vom Boot befestigt. Wo keiner an Bord ist, hilft auch der Taucher mit.

Die quer über die Boxengasse verlaufenden Moorings werden alle von Tauchern begutachtet.

Marina Moselle von oben (foto credit Google maps).
Die roten Linien stelken die Moorings dar. Jeweils zwei Stück werden am Heck eines Bootes befestigt. Die Enden der Moorings sind an der Kette befestigt, die sich unter dem gegenüberliegenden Steg befindet.

Im Falle einer Zyklonwarnung wird genauso verfahren, dass die Boote an den Mooringleinen festgemacht werden. Zusätzlich sind am Steg zwei weitere Vorleinen auszubringen. Diese müssen bei unserer Schiffsgröße mindestens 16 mm betragen. Dann wird das Schiff zwei Meter vom Steg abgerückt, Richtung Boxengasse. Alle Leinen werden stramm durchgesetzt. Unbedingt ist noch darauf zu achten, dass die Masten der ausgerückten Schiffe versetzt zueinander stehen. Die Marina versucht, dies durch die Belegung der Boxen mit 12-Meter-Booten im Wechsel zu 14-Meter-Booten zu fördern. Unser Nachbar Phillipp beteuert eindrücklich, dass die Masten wie verrückt schwingen sollen. Aber er ist, wie alle anderen, mit denen wir sprechen, sehr tiefenentspannt: „Hier sind wir alle sicher. Und es passt sowieso jeder auf jeden auf, dass alle Schiffe gut gesichert und vertäut sind.“

Die Vertäung der Boote im Falle eines Zyklons – alle Boote rücken zwei Meter vom Steg ab. Zusätzlich sind zwei weitere Vorleinen auszubringen.

Blau: der normale Zustand der Mooring – sie liegt ungenutzt im Schlamm. Rot bedeutet, dass eine Zyklonwarnung besteht. Die Moorings werden hoch gezogen ans Heck der Schiffe. Beide Zeichnungen stammen aus der Marina-Broschüre.

Wer während eines Zyklons nicht auf seinem Schiff bleiben mag, kann im Rathaus oder im Marinagebäude Schutz aufsuchen. Und ein paar Gebete können sicherlich auch nicht schaden.

Die Hauptgefahr eines Zyklons besteht im Januar bis März, wenn die Wassertemperatur am höchsten ist. Genau wie ein Hurrikan braucht ein Zyklon eine Wassertemperatur von 27 Grad oder mehr – allerdings muss diese Temperatur bis in eine Tiefe von 40 bis 50 Meter vorherrschen.
In den letzten vier Wochen ist die Temperatur in der Lagune rasant gestiegen. Zumindest in zwei Meter Tiefe: Anfang Oktober keine 24 Grad, Anfang November 27,7 Grad.
Von uns aus braucht das nicht so weiter gehen.

Versichert ist Atanga übrigens im Fall eines Zyklons nicht. Schiffsversicherungen sind schlau und schließen jede Haftung bei Stürmen mit Namen aus (es sei denn man befindet sich auf hoher See). Sollten wir also einen Zyklon erleben, so wäre doch Sturm ‚ohne Namen‘ eine gute Idee.

Marina Moselle. Die Einfahrt ist sehr schmal. Gut geschützt gegen den Schwell, den ein Zyklon mit sich bringt. Es heißt, der Schwell sorgt an Booten für mehr Zerstörung als der Wind. Daher die Idee der Spinnennetz-Verspannung der Moorings. (foto credit: newcaledoniasuperyachtagent)

46

Flaute

Dienstag, 11.11.25; Neukaledonien/Îlot Maître; Tag 4.182

Glücklich machende Flaute. Am Anker oder Mooring hängend, ist es am schönsten bei Flaute. Die Welt ist plötzlich lautlos, nur ein leichtes Gluckern gegen den Rumpf ist zu hören. Das Wasser ist nicht einfach nur glatt, es ist ein spiegelndes, tiefgrünes Glas. Zwar treiben die Schiffe dann häufig wirr durcheinander und es kann auch schon mal zu Berührungen kommen, wenn eng geankert wird.
Aber das glatt gezogene Wasser – himmlisch.

Dieser Kahn schwimmt unbewohnt neben uns – eine Berührung könnte das Sinken von Schrotti zur Folge haben. ;-)

Training mit dem Ausleger-Kanu – bei Flaute ein großes Vergnügen.

Erstmal abkühlen. Die Wassertemperatur hat jetzt 26 Grad erreicht.

Wir fahren nicht weit. Müssen wir auch nicht. Bereits vor der Haustür der Marina zeigt die Lagune, was sie kann. Besonders bei Flaute.

Der Supermond im November sorgt für eine extrem hohe Flut. Der Strand auf der Ostseite von Îlot Maître verschwindet komplett. Dies bietet uns eine Erscheinung, die wir noch nie gesehen haben. Tausende weiße Inselchen treiben auf der Wasseroberfläche.

King-Tide. Die höchste Flut im Jahr 2025 durch den November-Super-Mond.

Schwimmende Blüten? Unser erster Gedanke.

Ein „mikroaerodynamisches und hydrostatisches Auftriebsphänomen“, wie es wissenschaftlich heißt. Auf Deutsch: ein schwimmender Strand. Erst denken wir, dass es sich bei den weißen Flecken auf der Wasseroberfläche um Blütenblätter handelt. Bei Berührung mit dem Paddel rieseln die Blütenblätter zu Boden. Dann erkennen wir, dass es sich um schwimmenden Korallensand handelt. Pure Magie.

Die ungewöhnlich hohe Flut hat den stark ausgetrockneten Sand oberhalb der normalen Flutkante erreicht. Luft ist im trockenen Sand eingeschlossen. Wenn das Wasser langsam aufsteigt, wird diese Luft verdrängt. Gleichzeitig lösen sich Korallenpartikel und durch die Oberflächenspannung und eingeschlossene Luftblasen können große Sandfladen plötzlich schwimmen.  Voila! Und schon hat man einen ‚Sand raft‘ oder auch ‚bubble-lifted sediment layer‘ genannt.
Mutter Physik wieder voll bei der Arbeit. ;-)

Der Korallensand schwimmt. Sobald wir die Oberflächenspannung zerstören, ist der Zauber vorbei.

Und die Schildkröten. Meistens hauen sie ab, wenn sie den Schatten von unserem Kajak sehen. Wir könnten auch ein Hai sein. Aber einige passen nicht auf … wir kommen nahe heran.

Hunderte Schildkröten. Zeitweise schwimmen sie übereinander in zwei Etagen im flachen Wasser.

Für weitere Abwechslung sorgt die SNS 163 Nautile. Erst sehen wir sie ‚rot‘ schießen in der Abenddämmerung. Ungefähr zehn Raketen werden verschossen. Am nächsten Morgen machen sie neben uns an einer Mooring fest. Mann-an-Bord-hieven-Manöver werden mit verschiedenen Hilfsmitteln geübt. Gut zu wissen.
Ähnlich wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist auch die SNSM (Société nationale de sauvage en mer [nicht nur wir Deutsche können sperrige Namen kreieren … ;-) ]) eine gemeinnützige Rettungsorganisation. Sie besteht allerdings fast vollständig aus Freiwilligen: Kapitäne, Mechaniker, Funker und Sanitäter. Die Finanzierung erfolgt über Spenden, Mitgliedsbeiträge und staatliche Zuschüsse.

Es wird ‚rot‘ geschossen. Zunächst ein Schreck bei der ersten Rakete. Aber nur eine Übung.

Nautile. Es kommen Rettungsnetzte und Seilzüge zum Einsatz.

Fünf Flautentage werden uns geschenkt. Morgen kommt der Wind zurück. Schade.

51

Veränderte Bedingungen

Dienstag, 04.11.25; Neukaledonien/Nouméa; Tag 4.175

Wir müssen zehn Tage warten, dann bekommen wir unseren festen Liegeplatz für die nächsten Monate zugeteilt. Dass wir überhaupt einen bekommen, verdanken wir unserem kurzen Schiff. Als wir Atanga vor 16 Jahren gekauft haben, waren 42 Feet Länge noch viel. In Dänemark mussten wir bei 4 Meter Breite häufig die Dalben auseinander drücken, um dazwischen zu passen.
Das hat sich geändert. Atanga bewegt sich inzwischen im unteren Längen-Viertel. Was für ein Glücksfall bei der Vergabe der Liegeplätze. Unter den zehn Katamaranen, die auf der Warteliste stehen, werden Liegeplätze verlost.
Wie die Sicherheits-Maßnahmen in der Marina ablaufen, falls sich ein Zyklon nähert, erfahren wir in zwei Wochen. Dann finden die jährlichen Wartungsarbeiten an Sicherungs-Moorings statt.

Dieser Platz gehört nun uns. Für die nächsten sechs Monate. Wir können in die Lagune segeln, wenn wir wollen. Ohne Abmeldung dürfen wir kommen und gehen. Der Nachteil, wir müssen den Liegeplatz auch bezahlen, wenn wir uns nicht in der Marina aufhalten. Mit einem großzügigen Monatsrabatt kommen wir ganz gut dabei weg (30 Euro für einen einzelnen Tag – 17 Euro im Monats-Abo).
Die Mehrkosten, die entstehen, stellen wir einfach Immigration Neuseeland in Rechnung. :mrgreen:

Reihenschiff-Siedlung. Viele Schiffe sind bewohnt, allerdings keine Ausländer wie wir.

Auf diesem Platz haben wir schon  vor ein paar Wochen gelegen. Kennen die Nachbarn.
Das ist nun unser Liegeplatz für das nächste halbe Jahr – Phillipp neben uns wohnt nicht auf dem Schiff – ist aber am Wochenende immer für ein Schwätzchen zu haben.

Unsere Entscheidung, Neuseeland doof zu finden (die falsche Behauptung über Achims Visum wurde noch nicht zurückgenommen. Auch dem Storno unseres Visums fehlt die Bestätigung – man ahnt förmlich, dass wir mit Employee 50.496 noch nicht fertig sind), bringt veränderte Bedingungen mit sich.

Das Beste ist, wir brauchen nicht nach Neuseeland segeln. ;-) Tausend Meilen direkte Strecke, dabei 300 Meilen nach Ost gutzumachen, wäre vielleicht nicht so schön geworden. Das ist Geschichte, Schwamm drüber.

Der meistgesprochene Satz die letzten Wochen lautete: „Das besorgen wir dann in Neuseeland.“ Der Euro-Dollar-Kurs stünde gut für uns. Über zehn Prozent Verfall, seitdem wir dort gewesen sind. Ein paar Schönheitsreparaturen standen auf der Liste. Eine neue Membran für den Wassermacher. Ein neuer Laptop für Achim, vielleicht neue Handys für uns beide. Neuseeland ist mit dem schlechten Dollarkurs ein Einkaufsparadies.
Das sieht vor Ort anders aus. Nicht nur, dass es nicht alles gibt. Das, was vorhanden ist, kostet zwanzig bis vierzig Prozent Aufschlag. Und wer will schon eine Tastatur mit ‚Azerty‘?
Man kann sich auch nicht einfach etwas schicken lassen. Alle Lieferungen über SVB, Temu oder Alibaba müssen über einen Zollagenten abgewickelt werden. Elf Prozent Einfuhrumsatzsteuer plus Zoll von bis zu 20 Prozent machen jedes Schnäppchen kaputt. Unser neukaledonisch-französischer Nachbar hat sich einen Speedy-Stitcher – eine Art Handnähmaschine für Segelreparaturen – von einem Kumpel aus Australien mitbringen lassen. Ein Artikel, der fünfzig Euro kostet.
„Anders geht es nicht“, sein trockener Kommentar.

Unsere australischen Vorräte der Besonderheiten wie Nüsse, Sonnenblumenkerne und Roggenmehl sind aufgebraucht. Es gibt einen Bio-Laden im Zentrum. Roggenmehl ja, Sonnenblumenkerne nein. In Laufweite haben wir drei Supermärkte. Keiner hat Rosinen. Wir erweitern unsere Runde auf die Außenbezirke. Neun Kilometer später hat der Einkaufs-Marathon Erfolg. Die Sonnenblumenkerne sind wieder aufgefüllt.
Die Fahrräder auszupacken, dazu konnten wir uns noch nicht durchringen. Die Marina ist umzingelt von steilen Bergen. Dort müssten wir in jedem Fall schieben.

Einer der besseren Supermärkte auf unserem Rundgang.

Der Supermarkt bei uns um die Ecke. Der ist brauchbar, aber schwankend im Angebot. Immer mal wieder gibt es etwas überhaupt nicht zu kaufen.

Auf unserem Weg durch die Stadt finden wir diesen Pizza-Automaten. In drei Minuten fertig – pfui.

 

Hinter der Wasserfront wird es steil – überall stehen solche Berge rum – kein Fahrradparadies.

Aber wir haben die Lagune vor der Tür. Die Wassertemperatur steigt kontinuierlich an. Herrliche Badefreuden erwarten uns. In ein paar Tagen geht es raus. Wer braucht da schon Rosinen?

61

Eskalation Neuseeland

Montag, 27.10.25; Neukaledonien/Nouméa; Tag 4.167

Freunde einer schnellen Antwort, ob wir nun nach Neuseeland segeln oder nicht, brauchen nur nach unten zu scrollen auf das Foto.
Freunde von Behörden-Chaos-Geschichten mögen weiterlesen. ;-)

Nachdem Achim ein zweites Mal an die Eskalations-Mail-Adresse geschrieben hat, dass unser Antrag liegen geblieben ist und Nummern vertauscht wurden, beginnt der eigentliche Spaß.

Eskalations-Mail-Adresse Numero 1

  • Innerhalb von 24 Stunden erhalten wir erneut eine Antwort.
  • In der steht das Gleiche, wie in der ersten Mail: Man hat unsere Beschwerde bereits an den Mitarbeiter bei Immigration weiter geleitet. Mehr könne man nicht für uns tun.
  • Damit es auch Doofe verstehen, ist der Text nun mit gelben Textmarker markiert.

Eskalations-Mail-Adresse Numero 2

  • Achim findet eine zweite Beschwerde-Adresse.
  • Er schickt den gleichen Text wie zu Numero 1.
  • Wir erhalten nun Antwort von einer dritten E-Mail-Adresse.
  • Auf die kann man sogar antworten!
  • Der Schreiberling gibt sich als Mitarbeiter 50.496 von Immigration Neuseeland zu erkennen.
  • Die Anforderung eines Führungszeugnisses sei angebracht, da Achim mit dem jetzigen Antrag von sechs Monaten plus der bereits verbrachten 19 Monate die Summe von 24 Monaten Aufenthalt in Neuseeland übersteige.
  • Die medizinische Untersuchung sei angebracht, da Achims damaliges Visum (aus dem Jahr 2022) den Vermerk ASH (Approved Subject to Health – Zulassung vorbehaltlich der Gesundheit) trug. Sprich, ein neues Visum wird nur erteilt nach Gesundheits-Check.
  • Von mir ist nach wie vor nicht die Rede, obwohl wir über den gleichen Antrag laufen und bearbeitet wurden.

Fehler von NZ

  • Der Vermerk von ASH ist eine Erfindung von Employee 50.496.
  • In unserem gesamten realMe-Account findet sich kein einziger Hinweis darauf.

Unser Fehler

  • Wir haben dem Punkt ‚mehr als 24 Monate Gesamtaufenthalt‘ nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dass tatsächlich der Aufenthalt in Neuseeland ein „Leben lang“ kumuliert wird.
  • Wir kennen drei deutsche Crews, die über mehrere Jahre Pingpong zwischen Neuseeland und Fiji gespielt haben. Deren Zeit-Konten sind übergelaufen, niemanden hat es gekümmert. Es galt nur die ungeschriebene Regel: „Bleib 181 Tage außer Landes“.
  • Während und nach Corona wurde die Nutzung des realMe-Systems ausgeweitet. Unabhängig von realMe wurden nach der Pandemie Visumsanträge generell strenger betrachtet.
  • Plötzlich mussten auch die Pingpong-Crews Führungszeugnisse erbringen.
  • Das wussten wir nicht.

Die zweite Mail an 50.496

  • Achim erklärt, dass weder in alten, noch in neuen Anträgen jemals ASH erwähnt wurde, dass er bei einem neuen Visum einen Medi-Check vornehmen lassen müsste.
  • Unser jetziger Antrag im August sei auch schlank durchgegangen. Überall ‚grüne Häkchen‘, keine Anforderungen erforderlich.
  • Achim zieht dann noch die Zyklonsaison-Karte. Dass wir nur durch die Nichtbearbeitung unseres Antrages jetzt in eine zeitliche Notlage geraten sind. Und wir in der Kürze der Zeit beide Bedingungen nicht erfüllen könnten.
  • Und er fragt, was denn eigentlich mit seiner Frau los sei.

Die Antwort von 50.496

  • 50.496 bleibt bei seinen Ausführungen.
  • Mit dem Antrag aus dem Jahr 2022 wurde Achim als gesundheitlich geeignet eingestuft – unter der Bedingung, dass mit dem nächsten Antrag ein ärztliches Zeugnis vorgelegt wird.
  • Das polizeiliche Führungszeugnis des Heimatlandes (Character Requirement) sei erforderlich.
  • Und jetzt wird es lustig: „Bezüglich Ihrer Ehefrau Sabine: Sie ist weiterhin Teil Ihres Antrages und erfüllt sowohl die Gesundheits- als auch Charakteranforderungen.“ :mrgreen:
  • Dass ich mich zeitweise in einem Wurmloch befunden haben muss, kommt für uns beide überraschend. Wir haben exakt die gleichen Tage in Neuseeland verbracht. Und trotzdem: Meine 19 plus 6 Monate ergeben weniger als Achims.

Unsere Entscheidung

  • Wir ziehen unseren Antrag zurück im realMe-System.
  • Gleichzeitig bittet Achim um Korrektur bzw. Löschung der falschen Angaben bezüglich des ASH Vermerks (man weiß ja nie – plötzlich und unerwartet muss man nach Neuseeland reisen).
  • Wir werden auch kein NZeTa (für einen Kurzaufenthalt von 90 Tagen) stellen.
  • Das NZeTa ist nämlich kein Visum, sondern nur die Genehmigung, nach Neuseeland einreisen zu dürfen, ohne vorheriges Visum. Die eigentliche Einreiseerlaubnis (das sogenannte Visitor Visa on Arrival) wird erst bei der Ankunft durch die Einwanderungsbehörde erteilt.
  • Der Beamte an der Grenze kann die Einreise verweigern. Unter anderem mit der Begründung, dass man die „Good-Character“- Eigenschaften nicht erfüllt. :lol:
  • Im schlimmsten Fall würde das die sofortige Ausreise-Aufforderung von Achim zur Folge haben.
  • Und selbst, wenn die ersten 90 Tage gut gehen sollten, so fällt uns spätestens bei der Verlängerung um weitere 90 Tage der üble Charakter von Achim vor die Füße.
  • Und vielleicht merkt dann irgendeine Blitzbirne sogar, dass ich genauso lange in Neuseeland war wie er und werde zum Arzt genötigt.

    Unsere Gefühle
  • Natürlich sind wir sauer.
  • Und enttäuscht.
  • Aber auf den Mist haben wir keine Lust. Da muss man dann auch mal an der richtigen Stelle stur sein. Natürlich könnte Achim hier zum Arzt gehen (500 Euro ungefähr beim von Neuseeland autorisierten Privatarzt) und auch ein Führungszeugnis beantragen. Wann das käme, da schwanken die Informationen. Von ‚geht relativ schnell‘ bis zu 10 Wochen habe ich alles gefunden. Zu viele unbekannte Fallen lauern auf uns.
  • Wir verzichten auf Neuseeland. Eines unserer Lieblingsländer. Dort, wo wir leben könnten.
  • Die Entscheidung wird uns leicht gemacht durch die Zusage hier in der Marina, dass wir einen Zyklon „sichern“ (was ist schon sicher im Leben?) Liegeplatz bekommen können.
    Der Zoll in Nouméa arbeitet blitzschnell. Nicht mal 24 Stunden braucht der, um uns eine Zollbefreiung für weitere sechs Monate für Atanga zu erteilen. Immigration ist kein Problem, Europäer dürfen in Neukaledonien bleiben, so lange sie wollen.
  • Können nur vermuten, was passiert ist. Die heißeste Theorie, dass unser Antrag hängen geblieben ist. Nach der Erinnerung und der Vermixung alter und neuer Visa-Nummern hat Employee 50.496 sich die Geschichte mit dem ASH-Vermerk „ausgedacht“. Um zu vertuschen? Um Zeit zu schinden? Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren.
  • Wir werden die Rückerstattung der 280 Euro für den Antrag einfordern. Machen uns aber wenig Hoffnung.
  • Also, wir sind sauer. Fühlen uns unfair behandelt.
  • Nichts ist so schlecht als dass es nicht auch für irgendetwas gut ist. Das ist ein beruhigendes Motto. Wir machen uns einfach eine schöne Zeit in Neukaledonien und ärgern uns nicht.
  • Außerdem haben wir einen heimlichen, fiesen Wunsch. Neuseeländer müssen in Zukunft, wenn sie nach Deutschland einreisen wollen, nur eine einzige Frage zur charakterlichen Eignung für einen Aufenthalt im CO2 befreiten Deutschland beantworten: Sind sie im Besitz eines 4×4 angetriebenen Geländewagens mit 3 Litern Hubraum, bei einem Verbrauch von 20 Liter auf 100 Kilometer und fahren damit an den Strand?
    „Du kommst hier nicht rein!“  :-)

Aus! Ende! Vorbei! Neuseeland ist ausgeträumt.
Unsere letzte Landkarte brauchen wir nicht mehr.

72